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Unter dem Bilderhimmel – Die Wallfahrtskirche Unserer Lieben Frau in Hergiswald.

Die Kirche Santa Maria Maggiore in Spello ist in der Kunstgeschichte vor allem für die Kapelle Baglioni und die Fresken des Sienesischen Malers Pinturicchio bekannt. Während unserer Umbrien-Reise ist mir in dieser Kirche auch eine sehr barocke Darstellung der Maria im Typus der Santa Maria di Loreto aufgefallen (Bild oben). Die Legende besagt, dass 1291, nachdem die Kreuzfahrer das Heilige Land verloren hatten, Engel das Haus der Heiligen Familie von Nazareth über Illyrien, in das nahe der italienischen Hafenstadt Ancona gelegene Loreto überführt hätten. Trotz des himmlischen Transportes, dauerte die Reise drei Jahre und so kam das Heilige Haus 1294 an besagtem Ort an. Schon früh, so wollen es die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Berichterstatter wissen, habe man das Haus, in dem einst die Heilige Familie gelebt hatte, als Kapelle genutzt und darin eine Statue einer schwarzen Madonna verehrt. Spätestens ab der Renaissance entwickelte sich Loreto durch päpstliche Stiftungen zu einer prächtigen Basilika, die man um das Heilige Hause herum errichtet hat. Das Haus, einst selbst Kapelle, wurde durch diese baulichen Veränderungen zu einer Reliquie; die Translation des Hauses, einer Intervention der Gottesmutter Höchstselbst zugeschrieben, zum eigenen Bildtypus. Ebendiesen Bildtypus können wir in Spello, in einer barocken Ausformung sehen. Auf dem Haus thronend sehen wir Maria mit dem Jesusknaben, die, so möchte man die Geste zumindest deuten, den Engeln die Anweisung gibt, das Haus nach Loreto zu bringen. Dem unbekannten Künstler gelingt es, mit viel Licht, Bewegung und barocken Prunk, diese Legende in nur einem Bild zu erzählen. Die Engel scheinen die harte Arbeit fast mühelos zu bewältigen. Die kleinsten zwei tragen die grösste Last mit seligem Lächeln.

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Dass es sich bei dem Werk aus Spello um eine Darstellung aus der Zeit des Barocks handelt, ist nicht weiter verwunderlich. Die Verehrung des Heiligen Hauses in Loreto wurde vor allem in der Zeit der Gegenreformation mit neuen Impulsen versehen. Natürlich konnte nicht jeder nach Loreto pilgern und so verbreiteten sich einerseits Darstellungen der Madonna di Loreto und andererseits Nachbauten der Heiligen Hauses. Eine solche architektonische Kopie, von der dieser Beitrag handelt, führt uns dann auch in die Schweiz zur Wallfahrtskirche in Hergiswald.

 

Der heutigen Wallfahrtskirche auf einer Lichtung am Fusse des Pilatus geht eine sakrale Nutzung von 150 Jahren voraus. Alles beginnt mit dem Kartäusermönch Hans Wagner, der 1489 das Kloster Ittingen im Thurgau wegen massivem Baulärm, der beim Umbau der gesamten Abtei entsteht, verlässt. Er sucht sein Glück in der Einsamkeit der Innerschweiz und lässt sich als abgeschiedener Waldbruder in Hergiswald nieder. Die Luzerner Patrizierfamilie von Wyl baut ‘ihrem’ Bruder Hans schon kurz darauf, um 1501/04 eine kleine Eremittenkapelle, um ihm für seine täglichen Gebete einen adäquaten Raum zu bieten. Als der Eremit 1516 stirbt folgt die Familie seinem Wunsch und lässt ihn in der Kapelle bestatten. Das Grab zieht in der Folge einige Pilger an, sodass die Kapelle 1620/21 erweitert werden musste. Diese Erweiterung stellt die Keimzelle der heutigen Wallfahrtskirche dar und bildet bis heute deren östliche Kapelle. In der Folge wurden von der Familie von Wyl, die sich dem Ort verpflichtet sah, weitere Anbauten vorgenommen. Der Erwähnenswerteste ist sicher der Ergänzung um eine Loretokapelle, im Jahr 1648/49. Die Legende berichtet, das Ludwig von Wyl, ein Kapuziner und Mitglied besagter Familie, in einer Nacht im Jahr 1645 von der Gottesmutter höchstpersönlich beauftragt wurde, eine solche Kapelle zu bauen. Bezahlt haben das aber nicht die von Wyls, sondern kein geringerer als der französische Sonnenkönig Ludwig XIV., vermittelt durch den königlichen Gesandten in Solothurn. Das hier gegenreformatorische Gründe ausschlaggebend waren, liegt auf der Hand. Durch diesen Anbau gab es kein Halten mehr, in schneller Bauabfolge wurden im Westen die Felixkapelle angebaut und gleichzeitig der Grundstein für eine grundlegend neuartige Ausrichtung der Kirche gegen Norden gelegt. Diese Drehung der Kirche erlaubte es, sämtliche bestehenden Bauteile in das grosse Kirchenprojekt zu integrieren und gleichzeitig eine massive Grössensteigerung zu erreichen.

Im Innern sind es weniger die barocke Altarretabel oder die freistehende Loretokapelle im Chor der Kirche, die unser Augenmerk auf sich ziehen; es ist die aus 324 bemalten Holztafeln bestehende Decke, die uns einen Bilderhimmel von unvergleichlichem Eindruck präsentiert.

Voller rätselhafter Symbole und Sprüche erscheint die Decke als undurchdringliches Geheimnis. Immer wenn man glaubt, ein System erkennen zu können, bleibt man an einer Tafel hängen, die einen wieder ratlos zurücklässt. Einen Hinweis, wie man dieses überwältigende Bildprogramm verstehen soll, bietet die einzige grössere Tafel: In der Mitte des Raumes findet sich eine Himmelfahrt Mariens. 321 Tafeln zeigen Sinnbilder oder Embleme (zwei Tafeln zeigen Stifterwappen), die sich jeweils aus einem Symbol und einem lateinischen Spruch zusammensetzen. Sie versinnbildlichen Ehrentitel oder Tugenden Marias, verweisen auf Ereignisse aus ihrem Leben oder auf ihre Rolle im göttlichen Heilsplan. Der Bilderhimmel wir so vielmehr zu einem Himmelsbild, zu einer bild- und wortgewaltigen Litanei und zur Verherrlichung der Himmelskönigin. Die Idee zu diesem komplexen Programmbild stammte von Ludwig von Wyl, dem die Maria des Nachts erschienen ist. Er versorgte den Künstler, Kaspar Meglinger aus Luzern mit Skizzen, die er in den Bibliotheken der Kapuzinerklöster von Solothurn und Luzern fand. Dass die Embleme nicht an die ungebildeten Laien gerichtet waren, zeigt schon der Umstand, dass alle Texte in Latein abgefasst sind. Darüber hinaus sind auch die Verbindungen zwischen Bild und Text und Maria nicht immer einfach herzustellen.

 

 

Ein Beispiel:

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  1. Ein Fernrohr bündelt das Sonnenlicht und erzeugt auf einem Papier einen Fleck. Darunter der Text: DECOLORAVIT ME SOL (Die Sonne hat mich verfärbt). – Ein Gleichnis für die schwarze Madonna, die in Loreto verehrt wird.

  2. Ein Rauchfass: IN ODOREM (Zum Wohlgeruch). – Auf die frommen Menschen und Pilger wirkt Maria anziehend, wie wohlriechender Weihrauch.

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