Die steigende Inflation in Italien ist in punkto Kaffeepreise noch nicht spürbar und mit € 1.40 für einen Macchiato al Bar kann man noch gut leben. Hier, an der Theke des berühmten Caffe Gilli beginnen wir unseren Spaziergang durch Florenz. Unsere erste Destination ist die Piazza della Signoria. Diese breite Piazza ist seit dem 13. Jahrhundert das Zentrum des gesellschaftlichen und politischen Lebens von Florenz. Sie wird vom Palazzo Vecchio dominiert, wie man es in der historischen Malerei von Carlo Canella gut erkennen kann.
Seit 1540 machte Herzog Cosimo I den Palazzo Vecchio zu seinem Regierungspalast und liess ihn deswegen umfangreich umbauen. Unter anderen wurde der Saal des "Rates der 500" zu einem Audienzsaal ausgebaut und neu gestaltet. Er soll den Besuchern und vor allem den politischen Konkurrenten der Medici die Macht von Florenz veranschaulichen. Georgio Vasari malte die Fresken mit zahlreichen Szenen aus den Kriegen mit den rivalisierenden Städten Pisa und Siena. Auch Skulpturen glorifizieren Florenz und seine Siege: "Genio della Vittoria" von Michelangelo Buonarroti jenen über Siena und die Skulptur von Giambologna jenen über Pisa. Giambologna, eigentlich Jean de Boulogne, war ein flämischer Bildhauer, der am Hofe der Medici Karriere gemacht hat. Seine Skulptur im Palazzo Vecchio ist heute unsere erste Begegnung mit dem Manierismus, mit jener Kunstepoche, die eine Brücke zwischen der Renaissance und dem Barock schlägt.
Die im 1565 erschaffene Statue von Giambologna stellt Florenz als eine junge Frau dar. Selbstsicher schaut sie im Raum links hinein. Ihr Oberkörper nimmt eine starke Drehung nach rechts. Dadurch spreizen sich ihre kräftigen Oberschenkel. Ihr rechtes Knie zwingt scheinbar mühelos den muskulösen Mann - eine Allegorie auf die Republik Pisa - in die Knie. Zwischen den Beinen des Mannes erschient ein kleiner Fuchs. Kunsthistorikerin Christina Strunck sieht in diesem Tier ein Zitat von Dante, der im Purgatorio die unbeliebten Pisaner "schlaue Füchse" nennt.
Diese Skulptur von Giambologna illustriert ein wichtiges, formelles Merkmal des manieristischen Stils: den gewundenen Körper. Man bezeichnet diese Form als figura serpentinata (serpentina = „Schlangenlinie“). Ein weiteres Merkmal des Stils lässt sich in den hier dicht zusammengebrachten visuellen Gegenpolen (stehend/kniend, dominierend/unterwürfig) und den "unerwarteten" Situationen erkennen. Eine Frau siegt scheinbar mühelos über einen muskulösen Mann. Eine verkehrte Welt, auch sprachlich: Eine Stadt ist weiblich (la città), wird aber hier als Mann dargestellt.
Gegenüber dem Palazzo Vecchio befindet sich die Loggia dei Lanzi ein Arkadenbau aus dem 14. Jahrhundert. Cosimo I de’Medici gab dem Bau dem Namen "dei Lanzi" nach den im 16. Jahrhundert hier untergebrachten Landsknechten (Lanzichenecchi). In der Loggia sehen wir zwei weitere Werke von Giambologna: "Der Raub der Sabinerinnen" und "Herkules und Kentaur". Und wir erkennen wieder die typische figura serpentinata.
Von der Piazza della Signoria gehen wir dem Arno entgegen. Noch ein kurzer Kaffeegenuss und gleich sind wir am Ponte Vecchio angekommen. Die bekannte Brücke kennen wir auch von jeder Postkarte aus Florenz. Sah sie aber immer so aus?
Auf Wunsch des Grossherzogs Cosimo I. de’ Medici entstand im Jahre 1565 ein Verbindungskorridor zwischen dem Palazzo Pitti und dem Palazzo Vecchio. Da man dabei den Arno überqueren musste, liess Vasari seinen Korridor auf der alten Brücke bauen. Als gerne gesehener Nebeneffekt wertete man dadurch die unansehliche Brücke auf. Dies war wegen der bevorstehenden Hochzeit von Cosimo I de’ Medici mit Johanna von Österreich erforderlich: Man wollte die Stadt für die Habsburger Gäste schön machen. So erhielt die alte Brücke das heutige Aussehen.
Die ursprünglich ungedeckte ponte dei beccai (Brücke der Metzger), wurde im Laufe der Zeit immer repräsentativer. Statt Fleisch und Wurst, die hier im Mittelalter verarbeitet wurden und dem Abfall, den man nonchalant Richtung Pisa fliessen liess, zogen hier mit den Touristenströmen zahlreiche Schmuckgeschäfte ein.
Manierismus in der Malerei
Wenige Schritte nach dem Ponte Vecchio, auf dem linken Ufer des Arnos, gibt es eine kleine, unscheinbare Kirche. Santa Felicità ist aber eine der ältesten Kirchen in Florenz. Erstmals urkundlich erwähnt wurde die Kirche im 10. Jahrhundert. Hier, in der Kapelle Capponi, befindet sich ein großformatiges Bild von Jacopo da Pontormo von 1525-28. Das Bild wird heute in der Literatur als exemplarisches Bild des frühen Manierismus zitiert. Es stellt nämlich einen ersten, klaren Bruch mit der Tradition der Renaissance dar. Hier wird eine neue Ästhetik definiert.
Eine Gruppe von 11 Figuren füllt fast vollständig den Rahmen des Bildes. Zehn Figuren, die an der Abnahme vom Kreuz teilnehmen, sind auf eine untrennbare Art vereint. Im Bild gibt es keine unterstützenden Bildelemente wie das Kreuz, die Leiter oder Landschaften, die für kompositorische Ordnung nützlich wären. Zur Verwirrung tragen die ebenfalls die luftigen, sich aufbauschenden Kleidungsstücke bei. Der mit der Körperlichkeit der Personen gefüllte Raum zeigt keine perspektivische Ordnung, die so typisch für die Renaissance war (Vergleich: Raffaels Kreuzabnahme, Palla Baglioni).
So wissen wir auch nicht, ob sich die Figuren im Bild Pontormos nach Oben oder nach Unten bewegen. Der schwere Leib Christi wird von den Figuren mit einer überraschenden, fast irritierenden Leichtigkeit getragen. Der rechte Fuss des Mannes im ockerfarbigen Gewand , scheint in der Luft zu schweben. Er schaut verwirrt aus dem Bild hinaus, als ob er vom Betrachter einen Rat erwarten würde. Auch das Licht schafft keine Ordnung. Wie in einem Theater werden die Protagonisten aus verschiedenen Lichtquellen beleuchtet. Ebensowenig lässt die Farbe im Bild einen Bezug zur Natur zu. Es dominieren rosa bis rote und unzählige blaue Farbtöne. Im starken Gegensatz ist der grünlich-blasse Inkarnat Christi, was wiederum in der Farbgebung des Lendentuches mit kühlem, grünlichen Ocker aufgenommen ist. Lediglich das Haar Christi ist orangerot, wie bei den Jungen, die seinen Körper halten
Ein Bildelement bleibt bis heute ein ungelöstes Rätsel. Ein junger Mann hält den Torso Christi mit seinem rechten Arm und den Arm Christi mit seiner linken Hand. Aus dem dunklen Hintergrund greift eine andere Hand liebevoll die schlaffe Hand Christi. Diese Hand ist hier eine "zu viel". Sie gehört zu keiner der tragenden Figuren. Einige Autoren behaupten: Es sei die Hand Gottes, die Pontormo hier dargestellt hat.
Bei unserem heutigen Spaziergang haben wir einige Merkmale des Manierismus kennengelernt. Neben Malerei und Skulptur haben sich die Künstler dieser Epoche auch mit dem Gartenbau beschäftigt. So ist zum Beispiel in der Nähe der Kirche Santa Felicità der Boboli-Garten mit manieristischer "Grotta del Buontalenti" zu sehen. Das diese nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern auch in weiteren Epochen entstanden sind, werden wir während unserer Reise in der südlichen Toskana und im Latium entdecken können.
Grotta del Buontalenti, Boboli Garten Florenz
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