Lyon, eine Stadt des Zusammenflusses
- Kojich & Felder Reisen zur Kunst
- vor 1 Tag
- 5 Min. Lesezeit

Unsere Lyon-Reise beginnt hoch oben bei der Basilika Fourvière – dem perfekten Ort, um sich erst einmal einen Überblick zu verschaffen. Von hier aus liegen einem die Kathedrale St. Jean, die geschwungene Saône und die vom Rhône-Bogen umarmte Presqu'île zu Füßen. In der Antike blühte Lyon, damals Lugdunum, genau wegen dieser Lage an den beiden Flüssen auf und wurde zur Hauptstadt der gallischen Provinzen. Noch heute zeugt das große römische Theater am Fourvière-Hügel von dieser Bedeutung. Gleich daneben lag einst auch ein Forum. Als die römischen Bauten im frühen Mittelalter verfielen, blieb der Hügel dennoch ein heiliger Ort im Gedächtnis der Stadt. Im 12. Jahrhundert entstand hier eine erste kleine Marienkapelle, die später sogar mit dem Kult um den heiligen Thomas Becket verbunden wurde. Aus dieser bescheidenen Kapelle entwickelte sich die lange religiöse Tradition von Fourvière.
Im 19. Jahrhundert setzte Lyon dann ein neues Zeichen: Direkt neben der alten Kapelle entstand die monumentale Basilika Notre-Dame de Fourvière. Von außen wirkt sie fast streng und wehrhaft – doch innen öffnet sich ein völlig anderes Universum. Es fühlt sich an, als wäre ein Stück Byzanz auf wundersame Weise an die Rhône versetzt worden.

Im 19. Jahrhundert suchte Lyon nach einem monumentalen religiösen Wahrzeichen, das den Glauben und die Identität der Stadt sichtbar ausdrücken sollte. Der neobyzantinische Stil mit seinen leuchtenden Mosaiken schien dafür ideal, denn er knüpfte an die frühchristliche Tradition an und verlieh dem Bau eine himmlische Ausstrahlung. Für viele Gläubige, besonders aus einfachen Verhältnissen, wurden die Mosaiken zu einer glänzenden „Biblia pauperum”, die das Leben Mariens und die großen Heilsgeschichten erzählte.
Die Verbindung Lyons mit dem Marienkult wird in der Krypta der Basilika auf besonders sympathische und intime Weise erzählt. Hier steht eine eklektische Sammlung von Marienstatuen aus aller Welt, unter anderem aus Portugal, Polen, Indien, Ungarn, den Philippinen, dem Libanon, Mexiko, China und Afrika sowie natürlich aus Loretto in Italien. Es ist faszinierend zu beobachten, wie die zentrale Ikonografie Marias in den unterschiedlichen visuellen Sprachen der Kulturen dargestellt wird. Noch spannender sind die Geschichten hinter den Figuren: Wie und warum gelangten diese Madonnen nach Lyon und welche historischen, religiösen oder kulturellen Verbindungen spiegeln sie wider? So wird die Krypta zu einem kleinen, weltumspannenden Museum des Glaubens.

Als wir die Basilika Fourvière und das Hügelviertel verlassen, ist es draußen bereits dunkel. Von der Unterstadt aus wirkt die Basilika jetzt noch eindrucksvoller und erinnert fast an ein Schloss. Nun ist es Zeit, in die Gegenwart einzutauchen – bei einem Abendessen in einem typischen Bouchon in Lyon.

Das alte Lyon lockt mit weiten Plätzen, dem römischen Theater und verwinkelten Gassen. Dieses historische Labyrinth lässt sich wunderbar an einem Tag entdecken. Wenn der Spaziergang hungrig macht, stößt man an jeder Ecke auf die Bouchons: kleine, gemütliche Lokale, die Lyoner Spezialitäten servieren. Der Name ist übrigens doppeldeutig: Wie ein Korken (bouchon) hält auch ein Bouchon die Stadt zusammen – hier trifft man sich, lacht, isst und taucht ein in die echte Lyoner Lebensart. Rustikale Gerichte, herzliche Atmosphäre und ein Schluck regionaler Wein – und schon fühlt man sich wie ein Teil der Stadt.

Und während man sich in einem Bouchon stärkt, lohnt es sich, die Traboules zu entdecken – die geheimen Passagen, die Lyon wie ein Labyrinth durchziehen. Ursprünglich wurden sie im Mittelalter von Seidenwebern genutzt, um schnell zwischen ihren Werkstätten und den Märkten zu gelangen. Heute führen die schmalen, oft versteckten Durchgänge durch Innenhöfe und hinter Fassaden, die sonst verborgen bleiben.


Ein moderner Gegenpol zum mittelalterlichen Lyon ist das Viertel La Confluence, das dort liegt, wo sich Rhône und Saône treffen (daher "confluence"). Hier fließt die Stadt buchstäblich in die Zukunft: Hochgeschwindigkeitszüge rauschen Richtung Marseille, Autobahnen verbinden das Viertel mit der Region. Einst war die Gegend geprägt von heruntergekommenen Lagerhallen, bröckelnden Fassaden und kaum nutzbaren Flächen – ein schwieriges urbanes Terrain. Die Stadtverwaltung hat sich dieser Herausforderung angenommen und verfolgt das Ziel, neue Lebensräume zu schaffen. Wo früher verfallene Gebäude standen, entstehen heute moderne Wohnhäuser, Büros, Geschäfte und Grünflächen. Zentral für die Aufwertung war die Strategie des sogenannten „Bilbao-Effekts“: Ein spektakuläres architektonisches Wahrzeichen sollte das Viertel neu definieren. An der Spitze der Halbinsel wurde das Musée des Confluences errichtet, ein futuristisches, gläsern-metallisches Gebäude. Es wurde vom Architekturbüro Coop Himmelb(l)au entworfen und ist zu einem Symbol für die Neugestaltung des gesamten Viertels geworden.


Ein absolutes Must-See in Lyon ist das Musée des Beaux-Arts, das oft als „kleines Louvre“ bezeichnet wird. Die Sammlung ist riesig, die Besucherzahl überschaubar – perfekte Bedingungen, um Kunst in Ruhe zu genießen. Wir konzentrierten uns auf die Werke des 20. und 21. Jahrhunderts, machten aber zuvor einen kurzen Abstecher ins 19. Jahrhundert, um den Glanz der bürgerlichen Epoche Lyons zu erleben, in der unter anderem die Basilique de Fourvière errichtet wurde. Besonders beeindruckend sind die Gemälde des Lyoner Künstlers Louis Janmot, der den Zeitgeist seiner Stadt einfing. Ein Highlight ist das Gemälde „Fleur des Champs“, das die Liebe zur Natur und zugleich die für Janmots Stil typische präzise Detailfreude zeigt. Die filigranen Blumenmotive erinnern an die traditionelle Seidenproduktion Lyons, deren Musterkunst und Handwerkskultur die Stadt über Jahrhunderte geprägt haben.


Eine echte Entdeckung sind Louis Janmots 18 Gemälde, die er für die Weltausstellung in Paris 1855 geschaffen hat. Die Serie trägt den Titel „Le Poème de l’âme“ und erzählt die spirituelle Reise einer jungen Seele von der Kindheit bis zur Vereinigung mit dem Göttlichen. Alle Bilder sind im gleichen Format gehalten und folgen einer chronologischen Reihenfolge, sodass sich die Geschichte Schritt für Schritt entfaltet.
Der Ausstellungsraum im Musée des Beaux-Arts ist so gestaltet, dass man die Serie beinahe wie einen filmischen Erzählraum erlebt: Von Bild zu Bild verfolgt man die Entwicklung der Seele durch Versuchung, Reflexion, Liebe und spirituelle Läuterung. Diese Inszenierung verstärkt den erzählerischen und mystischen Charakter der Werke und lässt Besucher tief in Janmots poetische Vision eintauchen.


Wir wohnten im Hotel Boscolo, einem eleganten 5-Sterne-Haus, das die Familie Boscolo mit viel Herz führt. Das großzügige Spa bot eine willkommene Oase, die das kühle Spätnovemberwetter schnell vergessen ließ. Italienisches Dekor verschmolz harmonisch mit festlicher Weihnachtsgestaltung, und der prächtig geschmückte Weihnachtsbaum bildete die perfekte Kulisse für unser Gruppenfoto. Das Hotel Boscolo liegt in unmittelbarer Nähe des Hôtel-Dieu, einem der bedeutendsten historischen Gebäude Lyons. Das Hôtel-Dieu wurde im 12. Jahrhundert gegründet und diente jahrhundertelang als Hospiz und Krankenhaus für Bedürftige.

Im 17. und 18. Jahrhundert erhielt der Komplex seine heute bekannte, prächtige Fassade und die imposanten Arkaden. Diese machten das Bauwerk zu einem architektonischen Wahrzeichen der Stadt. Das Hôtel-Dieu war nicht nur ein medizinisches Zentrum, sondern auch ein Ort sozialer Fürsorge und wissenschaftlicher Entwicklung. Zahlreiche berühmte Ärzte praktizierten hier und das Krankenhaus spielte eine zentrale Rolle bei der Entstehung der modernen Medizin. Heute verbindet das Hôtel-Dieu Geschichte mit Gegenwart: Neben einem Luxushotel, Restaurants und Boutiquen kann die alte Kapelle besichtigt werden, die mit Fresken, Stuck und kunstvollen Holzarbeiten beeindruckt. Am letzten Abend unserer Reise übte hier ein Chor für ein bevorstehendes Konzert – ein würdiger und stimmungsvoller Ausklang unseres Aufenthalts in der Stadt an der Rhône.

