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Der St.Galler Klosterplan – Wie funktioniert ein ideales Kloster?

Aktualisiert: 26. Nov. 2020

Fabian Felder


W er heute nach St. Gallen fährt, wird mit der grossen Barockkirche des ehemaligen Benediktinerklosters konfrontiert. Schnell bekommt auch der heutige Besucher den Eindruck, dass dieses Kloster von großer Wichtigkeit gewesen sein muss. Tritt man in die berühmte Bibliothek ein, so verfestigt sich dieses Gefühl. Nicht nur der eindrückliche Lesesaal, sondern vor allem die Buchbestände weisen auf die Bedeutsamkeit jenes Ortes hin. Dabei wurde St. Gallen nicht erst in der Barockzeit zu einem zentralen Ort christlicher Kultur. Die Abtei wurde bereits im 8. Jahrhundert gegründet und in den ersten Jahrzehnten des 9. Jahrhunderts tiefgreifend verändert und vor allem vergrössert: Es entstand ab 818 als Reichskloster ein karolingisches Grosskloster. In den Beständen der Bibliothek finden wir einen Ausdruck dieser grundlegenden Neuerungen – den St. Galler Klosterplan.


Entstanden ist die älteste Architekturzeichnung des Abendlandes aber nicht in St. Gallen, sondern im benachbarten Kloster Reichenau im Bodensee. In der Forschung wird bis heute auch über den Entstehungszeitraum diskutiert. Aufgrund der Schriftart, es handelt sich um eine Übergangsform von der alemannischen zur karolingischen Minuskel, wird eine Entstehungszeit um 830 angenommen. Dass der Plan aber mit Sicherheit für St. Gallen bestimmt war, erkennt man an der Beischrift des eingezeichneten Hochaltares ‘altare sanctae mariae et sancti galli’, der heiligen Maria und dem heiligen Gallus, den beiden Patronen des Klosters. (Abb. 1)

(Abb. 1)


Auf dem Plan sehen wir als größtes Gebäude die nach Osten ausgerichtete Klosterkirche mit erhöhtem Chor mit dem bereits erwähnten Hochaltar der Maria und des Gallus. Im Norden und Süden werden dem Chor zwei doppelgeschossige Anbauten angefügt, welche durch Inschriften im Norden das Skriptorium (Schreibstube) und die Bibliothek, im Süden dagegen die Sakristei und die Schatzkammer aufnehmen. Im Süden der Klosterkirche findet man die sogenannte Klausur, der Bereich, der nur von den Mönchen selbst betreten werden darf. Um einen Kreuzgang mit Arkaden reiht sich im Osten, Süden und Westen (im Norden steht die Kirche) je ein zweistöckiges Gebäude. Im Osten befindet sich im Erdgeschoss der beheizbare Tagesraum und im Obergeschoss das Dormitorium, der gemeinsame Schlafsaal. Von da aus führt ganz praktisch ein direkter Zugang zur Kirche auf der einen Seite und zum Bad- und Waschhaus mit den Latrinen auf der anderen Seite. Der Südflügel beherbergt im Erdgeschoss das Refektorium, den Speisesaal.

Klosterplan Detail mit einem Ausschnitt der Klosterkirche mit dem Ostchor, Hochaltar, Gallusgrab sowie dem Skriptorium/Bibliothek und der Sakristei/Schatzkammer


Aus dem Speisesaal führt ein angewinkelter Gang direkt in die Küche, wo in der Mitte ein grosser Herd mit vier Feuerstellen dargestellt ist. Die Küche wird örtlich von der Klausur wegen der Brandgefahr getrennt. Von der Küche aus geht ein weiterer Gang zu zwei Gebäuden: der Bäckerei und der Brauerei. Über dem Refektorium befindet sich die Kleiderkammer der Mönche. Im westlichen Flügel findet sich unter der Kellerei ebenfalls mit einer Verbindung zur Küche und im Obergeschoss die Vorratskammer.

Zwischen dem südlichen Kirchenschiff und dem Vorratsbereich befand sich ein Raum, der als Sprechzimmer bezeichnet wird. Er gibt uns einen Hinweis darauf, dass die Klausur für Aussenstehende nicht zu betreten war. Das Sprechzimmer ist nämlich das Tor zu Außenwelt, hier treffen sich die Mönche mit den Gästen des Klosters. Man kann das auch daran erkennen, dass dieser Gebäudeteil als einziger eine direkte Türe nach draussen besitzt.


Doch ein Kloster besteht nicht nur aus Kirche und Mönchen. Ein Kloster ist eine ökonomische Einheit, dient als Arbeitgeber und wird von diversen Akteuren besucht. Aus diesem Grund machen Kloster und Klausur auf dem Plan zwar den zentralen, aber bei weitem nicht den größten Teil aus. Wandern wir von der Kirche aus weiter gegen Osten, so finden wir dort überraschenderweise eine zweite Kirche, diese ist in zwei Teile getrennt, Noviziat und Infirmarium.



Das Kloster verdankt seine Bedeutung den Gebeinen des Hl. Gallus, und so verwundert es nicht, dass diese sterblichen Überreste auch Wallfahrer angezogen haben. Da diese aber nicht in der Klausur beherbergt werden durften, mussten andere Räume für die Pilger bereitgestellt werden. Direkt beim Eingang findet sich ein geräumiges Pilgerhaus mit Halle, Schlafsaal, Kammern, Vorratsraum sowie eigener Brauerei und Bäckerei. Wir lesen – und denken fast schon an eine Hotelbroschüre: ‘Hier freue sich die Pilgerschar über ihre Aufnahme’ (Hic peregrinorum laetetur turba recepta). Die reicheren Gäste stiegen aber separat ab, an der Nordseite der Kirche findet sich ein Gästehaus, dessen Beischriften etwas über den Komfort der Anlage aussagen. Wir finden dort zwei Kaminzimmer mit Betten, Abtritte, Geschirrgestelle, Tische, Schlafräume der Diener, Pferdeställe, eine Gästeküche mit Vorratsraum und natürlich auch hier eine eigene Bäckerei und ein Brauhaus.

Klosterplan Detail mit dem Pilgerhaus mit Bäckerei und Brauhaus auf der rechten Seite der Kirche sowie dem Gästehaus für die reicheren Pilger auf der linken Seite.


Neben den Gästen gab es aber natürlich auch Mitarbeiter des Klosters, und so finden wir im Klosterbezirk auch die Wohnung des Gärtners (mansio hortolani), die Schlafkammern der Hirten (cubilia pastorum) und wesentlich weniger spezifisch auch einfach die Wohnung der Bediensteten (servientium mansiones). Auf das noble Gästehaus im Norden folgt die Klosterschule. Da sie sich im nördlichen Bereich befindet und nicht in der Klausur, handelt es sich hierbei um eine schulische Einrichtung, die der Bildung der weltlichen Jugend gewidmet war. Der klostereigene Nachwuchs wurde im Noviziat im Osten der Kirche ausgebildet. Klosterschulen waren über das ganze Mittelalter der zentrale Ort der Bildung und blieben das auch über die Gründung der Universitäten hinaus. Klöster bildeten oftmals einfach ein wesentlich dichteres Netz, als es die Universitäten bis in die Neuzeit bieten konnten. Auf die Klosterschule folgt mit ähnlichen Ausmassen das nicht sehr bescheidene Abtshaus. Der Abt als Vorsteher des Klosters lebte nicht mit seinen Brüdern in der Klausur im Süden, sondern bewohnte mit seinen Bediensteten ein eigenes Gebäude.


Klosterplan Detail mit dem Infirmarium (um den linken Kreuzgang gruppiert) und dem Noviziat (um den rechten Kreuzgang gruppiert). Ganz links erkennt man von oben nach unten den Heilkräutergarten, das Ärztehaus und das Aderlasshaus.


Im Osten der grossen Klosterkirche finden wir eine weitere kleine Kirche mit nördlich und südlich angebautem Kreuzgang. Es scheint, dass man hier noch zwei kleine Kloster angebaut hätte. Und genau so ist es auch zu verstehen. Der nördliche Kreuzgang diente als sogenanntes Infirmarium, es ist die Krankenstation des Klosters für die alten und kränklichen Brüder. Nördlich neben diesem Kreuzgang findet sich das Ärztehaus (domus medicorum) mit dem Heilkräutergarten. Zwischen dem Ärztehaus und dem großen Abtshaus findet sich eine weiter medizinische Einrichtung: das Aderlasshaus. Und es ist genau jenes Haus, welches dafür verantwortlich ist, dass es auch ein Ärztehaus gibt. Die gebildeten Mönche kannten sich mit Sicherheit in der Herstellung von Medikamenten aus Heilkräutern aus, kannten die Dosierung und hätten ihre Brüder sehr wohl selbst versorgen können. Doch die mittelalterliche Medizin orientierte sich an der Säftelehre des Galen, und dies bedeutete oft genug, dass bei Krankheit ‘zur Ader gelassen’ wurde. Man liess vermeintlich überflüssiges Blut durch Eröffnung einer Ader abfliessen. Dies war aber Mönchen verboten, sie durften kein Blut vergiessen. Deswegen findet sich ein eigenes Ärztehaus, wo Laienärzte lebten und ausserhalb der Klausur die Mönche zur Ader liessen. Die Kirche der Krankenstation bildet das Scharnier zum gegenüberliegenden kleinen Kreuzgang. Dies ist das Noviziat, dort erhielt der klostereigene Nachwuchs seine Ausbildung und wurde in das Klosterleben eingeführt, ehe sie die Profess, das Gelübde, ablegten und Teil der Brüdergemeinschaft wurden.

Klosterplan Detail, (von links nach rechts) Friedhof mit Obstgarten, Gemüsegarten, Gänse- und Hühnerstall mit dem Haus des Geflügelzüchters in der Mitte.


Besonders spannend sind die südlich des Noviziates angeschlossenen Gärten. Der erste ‘Garten’ diente tatsächlich der Gewinnung von Obst, wir finden dort Apfel- und Birnbäume, Pflaumen, Quitten-, aber auch Pfirsich- und Feigenbäume, aber die primäre Funktion dieses Gartens war die letzte Ruhe, es handelt sich hierbei um den Friedhof des Klosters. An diesen schliesst der Gemüsegarten an, in welchem Zwiebeln, Knoblauch, Sellerie, Kohl, Pastinaken, Salat, Mangold und vieles mehr angebaut wurde. Dort findet sich dann auch das vorher schon erwähnte Haus des Gärtners.

Darüber hinaus finden sich noch viele andere Gebäude, die für weitere Handwerke und landwirtschaftliche Tätigkeiten bestimmt sind. So findet sich auch ein Haus für den Schweinehirten, für den Rinderhirten, ein Gestüt, Ställe für Ochsen, eine Küferei, eine Drechslerei, ein Kornspeicher, eine Mühle, ein Sattler, ein Schuster, ein Drechsler, ein Gold- und ein Eisenschmied, ein Hühner- und ein Gänsestall. Der Plan zeigt, wie das benediktinische Ideal des ‘ora et labora’, des Betens und Arbeitens, in einen Klosterplan eingeflossen ist. Zentral bleibt das kontemplative Leben, die vita contemplativa, in der Klausur, abgeschirmt von der Welt im gemeinsamen Leben mit den Brüdern. Die große Kirche und das angrenzende Skriptorium mit Bibliothek geben diesem Teil des Lebens seinen Raum. Demgegenüber steht das aktive Leben, die vita activa, das Arbeiten mit dem Körper und den Händen. Nicht jedes der Handwerke konnte von einem Mönch ausgeführt werden, aber die benediktinischen Brüder mussten, so die Regel der Benediktiner, auch zupacken können. Im Zusammenspiel von vita activa und vita conetmplativa entstand eine Klosterstadt, wie wir sie auf dem St. Galler Klosterplan sehen können. Ein Kloster ist nicht einfach eine Kirche mit einem Wohngebäude daneben, sondern eine Kleinstadt, die sich im besten Fall selbst versorgen konnte und nicht auf Spenden angewiesen war.


Zusammenfassend kann man sagen: Der Klosterplan muss mehr als Illustrierung der Benediktsregel gelesen werden und weniger als moderner Bebauungsplan. Ob der Plan in dieser Form zur Ausführung gedacht war, bleibt ein Rätsel. Bisherige Grabungen konnten zeigen, dass er in dieser Form in St. Gallen nicht durchgeführt wurde. Durch das Lesen im Plan lernen wir aber viel darüber, wie ein Kloster im frühen Mittelalter funktioniert hat und bis zum heutigen Tag in seinen Grundzügen funktioniert.


Umzeichnung des St. Galler Klosterplanes mit Beschriftung der wichtigsten Gebäude(teile).



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